Essbare Wildpflanzen im Naturgarten
Wildkräuter, Unkräuter, Beikräuter – es ist uns überlassen wie wir sie bezeichnen. Wenn unsere Gärten nicht zu Tode gepflegt und aufgeräumt sind wie unsere Wohnzimmer, wachsen sie reichlich.
Anstatt dass wir uns überlegen wie wir sie loswerden können, können wir sie nutzen und als wertvolle Schätze in unserer Alltag integrieren. Das Stichwort ist also: Einfach aufessen, was im Garten überhand nimmt.
Noch vor weniger als hundert Jahren war das absolut üblich. In jedem Klostergarten wurde z. B. Giersch angepflanzt, die Wildpflanze, die heute als „Gärtnerschreck" gilt. Damit hatte man immer das passende Kraut gegen Gicht und Arthrose zur Verfügung.
Das Wissen um die Schätze der heimischen Wildkräuter ging in den letzten 50 bis 100 Jahren flächendeckend verloren. Die überall und zu geringen Kosten verfügbaren Nahrungsmittel haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Kehrseite dieses Ernährungsstils ist, dass Volkskrankheiten stark zugenommen haben.
Vielleicht aus diesem Grund, vielleicht aus Sorge über Umweltzerstörung und Klimawandel, wahrscheinlich ein Mix aus alldem, ist in jüngerer Zeit das Interesse an unserer essbaren Umwelt wieder gewachsen.
Man kann Sätze lesen, wie: „Seit ich weiß, dass ich meine Wiese essen kann, hab ich wieder mehr Vertrauen in die Zukunft."
Fakt ist: Unsere frühen Vorfahren haben sich im großen Stil von genau diesen wildwachsenden Kräutern ernährt. Sie waren schon immer verfügbar, in unerschöpflicher Fülle.
Entscheidend an der Sache ist: Unser Organismus ist durch die schier endlose Zeit der Evolution, die er in Symbiose mit dieser Ernährung durchlaufen hat, auf diese Nährstoffe gepolt.
Wildpflanzen versus Kulturpflanzen
Wildpflanzen enthalten alle Nährstoffe, die wir benötigen, und das in deutlich höherer Konzentration als die Gemüsesorten, die wir im Supermarktregal finden.Die wahre Paleodiät, also die Ernährung der Steinzeitmenschen, bei der man immer gern an Fleischberge denkt, hat vor allem mit Wildpflanzen zu tun.
Im Lauf der Zeit haben wir Menschen aus diesen wilden Kräutern unsere Kulturgemüse herausgezüchtet. Dabei haben wir fast immer in die Richtung gearbeitet, die wilden, bitteren, zusammenziehenden Eigenschaften zu eliminieren.
Was gleichzeitig, und sicher unbeabsichtigt damit verloren ging, war eine Vielfalt an sekundären Pflanzenstoffen. Vitamine, Alkaloide, Anthocyane, Mineralien und Spurenelemente, Bitterstoffe, Scharfstoffe. All die Stoffe, die Pflanzen im Lauf der Evolution entwickelt haben, um sich vor Fraßfeinden zu schützen.
Für unsere menschliche Versorgung mit essentiellen Nährstoffen ein echter Verlust - den wir heute mit Nahrungsergänzungsmitteln versuchen auszugleichen.
Am besten vermarkten lässt sich einfach immer noch ein mildes, unspezifisches Aroma und vielleicht Knackigkeit beim Salat.
Von den Nährstoffverlusten mal ganz abgesehen, machen uns diese Züchtungen das Leben als Gärtner:innen auch nicht leichter. Für Schnecken gibt es nichts Besseres als diese milden, zarten, wehrlosen Blättchen.
Natürlich gibt es bei dieser Geschichte auch eine gute Nachricht: Wir können selber entscheiden, was wir essen. Wir können darauf anbeissen, was uns der Markt vorgibt, oder –mit ein paar Informationen an der Hand uns wieder ein wenig eigenständiger um unsere Ernährung und Versorgung mit richtigen Lebensmitteln kümmern.

Abgesehen von all diesen Vorteilen, die Wildpflanzen für uns haben, gibt es noch jede Menge weitere, die für unseren Planeten eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Retten können wir ihn damit nicht, aber ein Anfang ist es immerhin.
- Wildpflanzen wachsen auf lebendigen, ungedüngten Böden, ohne Einsatz von Agrarchemie und damit ohne Einsatz von fossilen Energieträgern
- Transportwege fallen weg
- es fällt kein Verpackungsmüll an
- keine Energie wird verbraucht, um das Gemüse frisch und intakt zu halten nachdem es geerntet ist
- Regionaler geht's nicht!
Fünf Wildpflanzen, die fast jeder kennt, und wie wir sie für uns nutzen können
BRENNNESSEL (URTICA DIOICA)Die Brennnessel ist überall zu finden, auch da wo man sie nicht sehen will. Sie liebt stickstoffhaltige, eher feuchte Böden. Man kann aus dieser Pflanze so ziemlich alles machen. Nahrung, Medizin, aus den Fasern Textilien. Brennnessel-Standorte geben Archäologen Rückschlüsse auf Siedlungsstandorte. Es gibt wohl keine andere Pflanze, mit der man, bei ausschließlicher Verwendung, länger überleben könnte.
In der Küche gibt es unzählige Verwendungsmöglichkeiten. Als Brennnessel-Spinat, pur oder zusammen mit anderen Wildkräutern. Als Tee, im Kräuterquark oder als Smoothie. Wenn man beim Sammeln Handschuhe anzieht und in der Küche die Beute erstmal mit einem Geschirrtuch abdeckt und anschließend mit dem Wellholz darüber rollt, kann man bei der Verarbeitung ganz gut ohne „Verbrennungen" davonkommen.
Die Heilwirkungen der Brennnessel sind immens: Sie regt den Stoffwechsel an, wirkt blutreinigend, bzw blutbildend, ist entzündungshemmend, senkt den Blutzuckerspiegel. Früher wurde sie sogar als „Gichtrute" eingesetzt. Das heißt, man hat sie als Büschel gebunden und die betroffenen Körperteile damit gepeitscht. Ob man das haben will, oder lieber sein Rheuma behalten, ist die Frage.
Die Aufzählung der Inhaltsstoffe ist entsprechend lang: Flavonoide, viel Eiweiß (knapp 6%), Kalium, Phosphor, Magnesium, Calcium, Vitamin A, C und E. Und dazu Enzyme und Phytoöstrogene, die bei PMS oder in den Wechseljahren hilfreich sein können. Die Samen sind ebenfalls äußerst nahrhaft, sie sind proteinreich und enthalten Carotinoide und wertvolle Öle, wie die Linolsäure.
GÄNSEBLÜMCHEN (BELLIS PERENNIS)
Sein botanischer Name sagt es schon: Ganzjährige Schönheit.
Vermutlich gibt es kaum eine Pflanze, die uns so dauerhaft das ganze Jahr, vom frühesten Frühjahr bis in den November hinein begleitet. Und das ohne jemals zickig zu sein. Wir fahren mit dem Mäher über seine hübschen gelb-weißen Korbblüten, und, zack, ein paar Tage später sind sie schon wieder da, als ob niemand gestört hätte.
Das Gänseblümchen ist in allen Teilen essbar. Man kann es in Salate und Wildkräutersuppen hinein mixen, genauso in Kräuterquark oder Kräuterbutter. Auf alle Fälle isst man es am besten roh.
Der Geschmack erinnert etwas an Feldsalat, im Nachgeschmack kann er auch etwas rau und beißend sein. Die Knospen können, wie man es in der Wildkräuterküche gern macht, als falsche Kapern eingelegt werden.
Zusammen mit Löwenzahn, Spitzwegerich und Gundermann lässt sich ein kraftstrotzendes Pesto zaubern.
Die Inhaltsstoffe sind vielfältig: Bitterstoffe, Saponine, Gerbstoffe, Flavonoide, viel Vitamin C. Genauso vielfältig die Wirkungen. Früher wurde es bei Leberproblemen eingesetzt, insgesamt regt es Stoffwechsel und Blutbildung an und ist deswegen ein guter Begleiter für Frühjahrskuren.
GIERSCH (AEGOPODIUM PODAGRARIA)
Der Beiname vom Giersch ist Gärtnerschreck. Man hat einfach keine Chance ihn im Garten je wieder loszuwerden, wenn er sich mal eingenistet hat. Aber warum auch. Man kann ihn einfach in die Suppe schmeißen und dabei gleich noch was gegen sein Rheuma oder die gichtigen Gelenke tun. So wurde er jedenfalls in früheren Zeiten eingesetzt und so kam er auch zu seinem Nachnamen. Podagra = Gicht.
Besonders die jungen, hellgrünen Blätter eignen sich gut als Salat Zugabe. Mit den schon etwas älteren kann man all die Speisen zubereiten für die man ansonsten Spinat einsetzen würde. Mit seinem Aroma, irgendwo zwischen Petersilie und Sellerie ist er natürlich auch als Suppengrün wie gemacht. Von Juni bis August eignen sich die Blüten als essbare Deko.
Drei mal drei ist der Zauberspruch mit dem man ihn erkennt und von anderen Doldenblütlern, die zum Teil giftig sein können, unterscheidet. An jedem Stängel sitzen drei Blätter, jedes Einzelblatt ist wieder dreigeteilt und dreikantig ist der Stängel im Querschnitt.
Bei den Inhaltsstoffen können wir auf die Tabelle (s.o. im Text) von Dr. Markus Strauß schauen und feststellen, dass der Kopfsalat, verglichen mit dem Giersch, eine ziemliche traurige Figur abgibt.
LÖWENZAHN (TARAXACUM OFFICINALE)

Der Löwenzahn hat ganzjährig Saison und zudem ist er nicht wählerisch was seinen Standort angeht. Jede Ritze zwischen Pflasterstein und Beton wird von ihm besiedelt. Mit seiner Pfahlwurzel schafft er es sogar Asphalt zu durchbrechen.
In seiner Hauptblütezeit im April lassen seine gelbe Blüten die Wiesen gradezu aufleuchten. Sammeln sollten wir ihn allerdings nicht in diesen gedüngten Wirtschaftswiesen, da sind unser giftfreier Garten, extensiv bewirtschaftete Streuobstwiesen oder auch Waldränder eindeutig zu bevorzugen.
Zu seiner Anwendung in der Wildkräuterküche kann man sagen: In allen Teilen einsetzbar.
Je nach Witterung kann man schon im Februar die ersten frischen Blättchen als Zugabe zum Salat pflücken und so gleich mit der Kur gegen Frühjahrsmüdigkeit beginnen bevor die noch richtig zuschlägt.
Die geschlossenen Blütenköpfe können im Frühjahr als „Kapern" in ein Essig-Wasser-Salz-Gemisch eingelegt werden und so als Spezialität für besondere Momente bevorratet werden.
Zu den Stängeln: Der Mythos, dass der weiße Milchsaft in ihrem Innern giftig sei ist tatsächlich ein Mythos! Allerdings schwer auszurotten, da er ausnahmslos allen Kindern in den letzten hundert Jahren so beigebracht wurde. Sehr wahrscheinlich war die Geschichte einfach so, dass eine Mutter eine schlaue Idee hatte wie sie verhindern konnte, dass ihre Kinder die guten 'Sonntagskleider' mit Löwenzahnsaft verkleckern. Ein Saft, den man tatsächlich nie mehr aus einem T-Shirt herausbringt. Fakt ist: Man kann die Stängel roh knabbern - im Rahmen einer Entgiftungskur, oder einfach so.
Die Wurzel des Löwenzahns kann man als Pfannengemüse ab Oktober genießen. Sie ist eine Medizin für sich. Die Pflanze heißt ja auch Taraxacum „officinalis", was soviel heißt wie „als Arzneipflanze, für medizinische Zwecke geeignet". Die Löwenzahnwurzel stärkt Leber und Bauchspeicheldrüse. Im Grunde wirken die Bitterstoffe, Inulin, Flavonoide und Vitamine stärkend auf den gesamten Verdauungsapparat. Ganz generell kann man sie als Aufbau-Tonikum einsetzen.
Noch einmal zurück zum Sammeln und damit zum Erscheinungsbild des Löwenzahns: Leider ist es so, dass die Blätter sehr vielgestaltig sein können. Je nach Standort entwickelt er mal recht spitze, gezähnte Blättchen, dann wieder große, lappige mit glatten Rändern. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal des Löwenzahns ist, dass er nie behaart ist. Wenn aber einmal einer der nah verwandten Korbblütler wie Habichts- oder Ferkelkraut oder der Pippau im Sammelkörbchen landet, ist es auch kein Problem. In dieser Gruppe findet man beruhigenderweise keine giftigen Arten.
DOST (ORIGANUM VULGARE)
Der Dost, wie man bei uns zum Wilden Oregano sagt umfasst eigentlich eine Pflanzengattung von ca. 40 verschiedenen Arten. Aromatisch sind sie alle.
Er ist eindeutig eine Pionierpflanze. Das heißt er besiedelt gern unkultivierte, brach liegende Flächen. Am liebsten sonnige-trockene, eher lehmige Standorte. Wenn man ihn einmal im Garten hat, findet man ihn ständig an einer anderen Ecke wieder.
Bienen und Insekten aller Art lieben den Dost, so wie Gewürzpflanzen allgemein ein Insektenparadies sind. Ein wildes, surrendes Gewusel, wenn man an einem sonnigen Tag neben der Pflanze steht.
Die Blätter von unserem Dost duften weniger intensiv als die blühenden Triebspitzen. Verwenden kann man beide. Von April bis in den Herbst, und wenn man vorausschauend plant auch noch im Winter das getrocknete Kraut. Erstaunlicherweise intensiviert sich der Geschmack sogar noch durch die Trocknung.
Die gebräuchlichste Verwendung dieser wilden Pflanze liegt wahrscheinlich bei der Pizza und in Tomatensoßen. Aber Pizzagewürz passt ja bekanntlich in fast alles. Für unsere Gesundheit tun wir uns auf alle Fälle etwas Gutes, wenn wir ihn reichlich verwenden. Die Bitter- und Gerbstoffe helfen dabei eine Magenverstimmung wieder ins Lot zu bringen. Die Gallensekretion kommt in Schwung, und bei Husten helfen die ätherischen Öle mit ihrer krampflösenden Wirkung.
Und hier noch ein paar pi mal Daumen WILDKRÄUTERREZEPTE

KRÄUTERBUTTER
Blüten und Blätter von verschiedenen Kräutern wie Dost, Veilchen, Malve, Spitzwegerich, Gundermann, Vogelmiere, etc. klein schneiden und in zimmerwarme Butter, am besten mit einer Gabel einkneten. Salz und Pfeffer.
KRÄUTERDIP
- Quark
- 1 Sauerrahm
- evtl. etwas weiche Butter
- Wildkräuter, je nach Jahreszeit, im Frühjahr z. B. Bärlauch, Knoblauchrauke, Scharbockskraut, Brennnessel, Giersch. Später im Jahr Dost, Schafgarbe, Quendel, Brennnesselsamen
- Knoblauch, Pfeffer, Salz
WIESENPESTO
- Wiesenkräuter wie Löwenzahn, Spitzwegerich, Gundermann, Gänseblümchen
- Knoblauch
- etwas Chilipulver oder gehackte Chili
- geröstete Sonnenblumen- oder Mandelkerne (oder andere Nüsse nach Belieben)
- Olivenöl
- Salz
GIERSCH-LIMONADE
Zwei Handvoll Gierschblätter, einige Blätter vom Gundermann und Pfefferminze, 1 l Apfelsaft, 1/2 l Mineralwasser, Saft einer halben oder ganzen Zitrone. Drei bis vier Stunden an einem kühlen Ort ziehen lassen. Abseihen. Das Mineralwasser erst vor dem Servieren aufgießen und Zitronensaft zugeben.
LITERATUR
- Kräuter aus dem Ländle: Christina Benz und Oliver Huber, Krenn Verlag2016
- Essbare Wildpflanzen: Fleischhauer/Guthmann/Spiegelberger, at Verlag 2019
- Wilder Mix, Grüne Smoothies und Desserts mit Wildpflanzen: Dr. Markus Strauß, Hädecke Verlag
- YT–Video Smoothie & Wilde Pflanzen: Wie Du dich gesund ernähren & selbst versorgen kannst - Dr. Markus Strauß
- Praxishandbuch Frauenkräuter: Margret Madejsky, at Verlag 2019
- Unsere essbaren Wildpflanzen: Bestimmen, Sammeln, Zubereiten: Rudi Beiser, Kosmos Verlag 2018
- Wilde Küche: Das große Buch vom Kochen am offenen Feuer: Susanne Fischer Rizzi, at Verlag 2010
App-Empfehlungen zur Pflanzenbestimmung
- Flora Incognita
- PlantNet
- Essbare Wildpflanzen (passend zum Standardwerk von Steffen Guido Fleischhauer)